…nämlich das Gefühl, gebraucht zu werden, sich weiterzuentwickeln, eine Aufgabe zu haben, die wirklich Sinn ergibt.
Wenn die Arbeit nicht mehr fordert, beginnt das Gedankenkarussell: Bin ich undankbar? Habe ich zu hohe Ansprüche? Warum fehlt mir trotz stabiler Rahmenbedingungen die Motivation? Dieses diffuse Unwohlsein wird häufig nicht ernst genommen – weder von der betroffenen Person selbst noch vom Umfeld. Dabei ist das Phänomen längst bekannt und erforscht:
Boreout: Das unterschätzte Gegenstück zum Burnout
Der Begriff Boreout wurde 2007 von den Unternehmensberatern Philippe Rothlin und Peter Werder eingeführt. Er beschreibt einen Zustand chronischer Unterforderung im Arbeitskontext – gepaart mit Langeweile, innerer Leere und einem Gefühl von Sinnlosigkeit. Während Burnout mit Überforderung assoziiert wird, wirkt Boreout auf den ersten Blick harmloser – ist aber nicht weniger belastend.
Was Boreout besonders tückisch macht: Er bleibt oft lange unentdeckt. Menschen, die darunter leiden, erscheinen nach außen hin leistungsfähig, freundlich und unauffällig. Sie erledigen ihre Aufgaben, sind pünktlich, fallen nicht negativ auf. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Die Betroffenen fühlen sich entkoppelt von ihrer Tätigkeit, innerlich ausgebrannt – nicht weil sie zu viel leisten müssen, sondern weil sie sich unsichtbar und unterfordert fühlen.
Die Forschung zeigt, dass das ähnlich starke psychische Belastungen hervorrufen kann wie Stress oder Überarbeitung. Studien der Universität Leipzig (Zacher et al., 2019) belegen einen Zusammenhang zwischen Boreout-Symptomen und depressiven Verstimmungen, Schlafproblemen und sinkender Lebenszufriedenheit.
Auch der Selbstwert leidet, wenn man das Gefühl hat, seine Kompetenzen nicht einsetzen zu dürfen – oder schlimmer: dass sie gar nicht gebraucht werden.
Die stille Erosion der Motivation
Viele Menschen merken zunächst gar nicht, dass ihre Motivationsprobleme mit Unterforderung zusammenhängen. Sie sprechen von „fehlendem Antrieb“ oder „einer Phase der Lustlosigkeit“, doch in Wahrheit ist die Ursache struktureller: Es fehlt an geistiger Spannung, an neuen Impulsen, an Entwicklung. Wenn der Job keine Herausforderung mehr bietet, verflacht nicht nur die Arbeit selbst, sondern oft auch die Beziehung zur eigenen beruflichen Identität.
Besonders betroffen sind häufig Fach- und Führungskräfte, die mit großem Verantwortungsbewusstsein arbeiten und viel in ihre Karriere investiert haben. Für sie ist es oft doppelt schwer zuzugeben, dass sie gelangweilt sind – nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil ihre Aufgabe ihnen nichts mehr abverlangt.
Was tun, wenn der Job nicht (mehr) passt?
Wer sich dauerhaft unterfordert fühlt, sollte das nicht einfach hinnehmen – aber auch nicht überstürzt kündigen. Wichtig ist, die Situation strukturiert zu analysieren und in kleine, konkrete Schritte zu übersetzen, die Veränderung ermöglichen, ohne gleich alles umzukrempeln. Hier sind fünf Schritte, die helfen können:
1. Bewusst machen, was fehlt.
Nimm dir bewusst Zeit für eine ehrliche Selbstreflexion: In welchen Aufgaben blühst du (zumindest ein wenig) auf – und wo schaltest du innerlich ab? Wann warst du zuletzt wirklich bei der Sache?
2. Stärken und Interessen aktiv (wieder)entdecken.
Überlege, welche Fähigkeiten du momentan kaum nutzt, obwohl du darin gut bist. Welche Themen reizen dich – auch wenn sie (noch) nicht Teil deines Jobs sind?
3. Neue Aufgaben im aktuellen Job testen.
Du musst nicht gleich alles verändern. Sieh dich um neue Aufgaben um, arbeite in einem Projekt mit, das dich interessiert. Kleine Schritte – große Wirkung.
4. Das Gespräch mit der Führungskraft suchen.
Wenn möglich, sprich offen über dein Bedürfnis nach Entwicklung oder Abwechslung. Viele Unternehmen sind heute bereit, Rollen anzupassen oder neue Lernräume zu schaffen – wenn sie wissen, was gebraucht wird.
5. Langfristige berufliche Optionen ausloten.
Wenn die Rahmenbedingungen im Job dauerhaft zu eng bleiben, kann es sinnvoll sein, externe Perspektiven zu prüfen. Ein Karriere-Coaching oder eine strukturierte Standortbestimmung helfen dir, deine Möglichkeiten realistisch zu sortieren – ohne Druck, aber mit Plan.
Der Weg zurück zur Wirksamkeit
Boreout muss nicht zur Kündigung führen – aber es verlangt Aufmerksamkeit.
Wer dauerhaft das Gefühl hat, unter seinen Möglichkeiten zu bleiben, verliert langfristig nicht nur Motivation, sondern auch Selbstvertrauen. Und das ist keine Bagatelle. Arbeit darf nicht nur sicher sein, sie darf auch lebendig machen.
Wenn dein Job sich sinnlos anfühlt, wenn du morgens schon weißt, dass du am Abend genauso leer wieder gehst – dann ist das nicht „normal“, sondern ein wichtiges Signal. Du musst nicht alles ändern. Aber du darfst anfangen. Ein Schritt. Eine Aufgabe. Eine Entscheidung. Damit du wieder spürst: Deine Arbeit hat einen Wert – und du auch.